Seit Beginn der Battlerap-Geschichte sind die meist diskutierten Lines nahezu immer Personal-Lines gewesen. Egal ob in Diss-Tracks, Freestyle- oder Written-Battles. Der Meister der Diss-Tracks ist wohl unumstritten Eminem. Mit Liedern wie "Girls", "The Sauce" oder "The Warning", hat er die Bedeutung der Worte "persönlich werden" wohl neu definiert. Aber richtig interessant wird es denke ich erst in der Rapbattle-Szene. Hier sind die Protagonisten noch nicht auf die Planeten Hollywood und Riesenvilla ausgewandert. D.h. das sind noch echte Menschen zum anfassen, die ein Privatleben besitzen, welches unserem recht ähnlich ist. Und auf Battle-Events kann man diese Personen nicht nur beim Rappen bestaunen, sondern sogar mit ihnen sprechen. Allein deswegen hat ein Live-Rapbattle einen ganz anderen Charakter, da man im Gegensatz zum Diss-Track die Reaktion auf jede Punchline sofort in den Gesichtern der Rapper und des Publikums sehen kann. Das sind alles Dinge, die ein Live-Rapbattle viel greifbarer machen, als jeden Diss-Track oder jedes Video-Battle (...pff ...Video-Battles). Und es ist gerade diese greifbare Realität, die einer persönlichen Zeile ihre Macht gibt.
"Wenn ich die Hölle betrete, findet man Satan verkrochen,
sabbernd und kotzend in der Ecke, wie er in seinen Bart stammelt: 'Hätt' ich besser soviel wie Philipp's Vater gesoffen'."
sabbernd und kotzend in der Ecke, wie er in seinen Bart stammelt: 'Hätt' ich besser soviel wie Philipp's Vater gesoffen'."
(Merlin - Merlin vs Mighty P)
Was sind Personal-Bars?Das war die erste Frage die sich mir aufwarf. Ist es schon persönlich, wenn man den Gegner in seiner Funktion als Rapper oder MC angreift? Ist es schon persönlich, wenn man sich auf den Gegner bezieht? Ist es schon persönlich, wenn man beschreibt, wie das eigene Fortpflanzungsorgan in irgendeine Öffnung des weiblichen Elternteils eindringt? Oder muss man da noch tiefer graben? (Ja... ich grinse gerade wie ein Honigkuchenpferd!)
Generell sehen viele Leute das verschieden. Jedoch lässt sich bei genauer Betrachtung ein Trend erkennen: In all den Jahren stellte ich fest, dass Fans, Battle-MCs, Veranstalter und weitere sich zu 99% einig waren, dass es in Ordnung ist, wenn man die Person in ihrer Künstlerfunktion angreift. D.h. alles was die Person als Künstler in der Öffentlichkeit tut, darf mit Punchlines bombardiert werden und das auch gerne mit persönlichem Bezug. Damit ist die erste der vier Fragen von oben schonmal beantwortet: Nein.
Aber bedeutet das automatisch, dass es eine persönliche Line ist? Ich finde, man muss da von außen nach innen vorgehen und die Persönlichkeit eines Battle-MCs wie ein Zwiebelmodell sehen: Mit jeder Schicht, kommt man dem Kern, also der verletzlichen Seite (und so auch dem Menschen, der hinter einer Kunstfigur steht) immer näher. Hier also mein persönliches Zwiebelmodell:
"Generic-Bars"
In meinen Augen die erste Schicht, da sie die meisten oft unberührt lässt. Die große Frage bei vielen Battles ist, ob man sog. "Generic-Bars" verwendet oder sich direkt auf das Tun und Sein des Gegners bezieht. Generic-Bars sind allgemeine Zeilen, die auf jeden zutreffen könnten und meistens frei erfunden sind. Die Line muss dabei nichts mit der Persönlichkeit des Gegenübers zu tun haben, sondern ist vielmehr eine Art den Gegner mit Hilfe allgemeiner Mittel zu beleidigen. Ein Beispiel wäre: "Ich fick dich in den Arsch!". Das kann man mit jeder Person machen, die einen solchen besitzt (und das tut vermutlich der Großteil der Menschheit). Eine simple Beschimpfungsfloskel also. Falls der Gegner jedoch unter einem analen Vergewaltigungstrauma leidet, dringt man ja tief in dessen Psyche ein ohne es zu wissen. Persönlich? Allerdings basiert eine solche Zeile auf einem "auf gut Glück"-Prinzip, wurde also in Unwissenheit darüber verfasst. Dabei fällt automatisch die Intention, auf genau dieses Trauma einzugehen, weg. Von daher: unpersönlich.
Gegnerbezug
Ich nenne diesen Typ gern "Rapper-Bars", da er sich oft auf die Figur eines Rappers oder eines MCs bezieht, der einem gegenübersteht. Hier wird vorzugsweise von der Musik eines Künstlers, anderen Battles, seiner "Fakeness" oder "Realness" oder irgendwelchen Businessmoves gesprochen. Gerne wird hier auch auf das Aussehen, wie z.B. die Kleidung eingegangen. An sich doch noch kein Grund die Moralglocke zu läuten...oder?!
"Ey und so winzig sein is' wirklich scheiße.
Obwohl hier viele nicht wissen wie schrecklich.
Denn der Arme brauch' sogar ein Sitzkissen, um sich auf ein Sitzkissen zu setzen!"
(Harry Crotch - Harry Crotch vs Jack Dragon)
Ich selbst habe z.B. gegen korpulentere Gegner bereits Witze über ihr Körpergewicht gebracht. Fast alle haben das mit Humor gesehen. Allerdings kann solch ein Humor auch irgendwann zur Maske für Selbstscham werden, womit man wiederum nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern die Nägel auch gerne mal ins Fleisch darunter versenkt. Das Gleiche passiert auch, wenn es um Musik geht. Geht man z.B. von der Raptechnik eines Gegners weg und spricht stattdessen über den Verlauf seiner Karriere, impliziert man automatisch den Menschen hinter einem MC. Bei dieser Art Gegnerbezug ist die Linie zwischen persönlich und unpersönlich also anscheinend schon fließend. Jedoch handelt es sich hierbei meistens um Fakten, die auch in der Öffentlichkeit kursieren und die in einem Battle (meistens) lediglich hervorgehoben werden. Deshalb sollte hier niemand rumheulen, wenn ihm/ihr das zu persönlich ist. Und falls doch... na dann tretet lieber dem Debattierklub bei und lasst Battlerap in Ruhe!Ich habe beschlossen, den Muttersprüchen eine eigene Kategorie zu widmen, da diese wohl mitunter die am häufigsten diskutierten und verwendeten Zeilen im Battlerap sind. Jetzt sind Schale und die oberen Schichten schon entfernt und wir sind an dem Teil der Zwiebel angelangt, wo sich zeigt, wer weint und wer ohne Probleme weiterschneidet.
Ach ja... die Frau Mama. Der Aufbau der Mutterzeile ist simpel: Man beginnt einen Satz mit "Deine Mutter..." und lässt anschließend ein furchtbar beleidigende Phrase folgen. Oder man verwendet "Deine Mutter" als Pointe einer Punchline. Ich denke mal das ursprüngliche: "Yo mama!", hatte durchaus die Absicht, eine persönliche Grenze zu überschreiten. Aber das tut dieser Ausdruck ja nicht erst seit der Erfindung des Rap. Er hat ihn nur noch beliebter gemacht. Aber gerade die Überreizung dieses Ausdrucks hat es geschafft, dass die meisten MCs sich davon nicht einmal mehr beleidigt fühlen. Dennoch wird ständig diskutiert. Mein Lieblingsbattle, was diese Diskussion angeht, ist hierbei dieses:
(Rap am Mittwoch 2012 - Atzenkalle vs MC Bogy)
MC Bogy beleidigt in einem Freestyle gezielt (mit wohlgemerkt der ERSTEN Zeile) die Mutter von Atzenkalle, worauf dieser danach ebenfalls eine Mutterzeile bringt, die jedoch viel harmloser ist. Sie impliziert zwar deutliche Absichten, lässt aber noch einiges offen. Bogy hingegen hält gleich darauf mit aufgeregter Stimme einen moralischen Vortrag und beschwert sich, dass man sowas nicht tun "sollte". Inwiefern Bogy da nachgedacht hat oder nicht, überlasse ich dem Zuschauer.
Nun hat dieses Battle nach Jahren der Mutterwitze wieder eine Diskussion um jene angestoßen: Ist "deine Mutter" einfach nur ein leerer Spruch oder ein persönlicher Diss? Ich denke der Schlüssel zur Lösung liegt hierbei in jedem selbst. Manche haben ihre leibhaftige Mutter vor Augen, wenn diese Worte fallen und regen sich schlussfolgernd darüber auf, dass der Gegner die arme Frau direkt beleidigt. Dies soll ja oftmals der psychologische Effekt einer solchen Mutterzeile sein. Andere kennen bereits den besagten Effekt und münzen den Diss auf sich selbst um. Ich für meinen Teil, sehe das gelassen. Ich weiß, wer meine Mutter ist, was sie macht und meistens auch, wo sie sich im Moment meiner Battles aufhält. Von daher ist sowas weder ein Diss gegen meine Mutter, noch ein Diss gegen mich. Denn ich kann mir 100% sicher sein, dass alles, was mein Gegner gerade über meine Mutter sagt, absoluter Schwachsinn und nur ein Produkt dessen Fantasie ist. Ob ich ihm diese Fantasien übel nehmen soll? Nein, denn die meisten Gegner kennen meine Mutter nicht mal flüchtig, was sogar solche Fantasien noch irrelevanter macht. Das Gleiche gilt für mich auch für "dein/e <insert random family member here>"-Bars.
Der Kern der Zwiebel
Was kann man denn nun eigentlich als persönlich bezeichnen? Nun kommt die letzte Schicht, die abgerissen werden muss, um zum Kern zu gelangen. Ja, ich spreche vom Menschen hinter der Kunstfigur. Da kommen meiner Meinung nach die wahren Personal-Bars. Hier spricht man von den Dingen, die der Gegner in seinem wahren Leben tut. Beruf, Freizeit, Familie, Freunde, Religion, Politik, Moral, Sex und so weiter. Meistens dreht es sich um persönliche Beziehungen oder verwerfliche moralische Ansichten des Gegners.
Ein Musterbeispiel wäre hier mein Battle gegen Mighty P:
(Don't Let The Label Label You 2013 - Brian Damage vs Mighty P)
Bei diesem Battle habe ich die komplette dritte Runde dafür verwendet, über den Tod seines Vaters zu sprechen. Dabei habe ich kein einziges Mal seinen Vater beleidigt oder attackiert, sondern wollte Mighty lediglich mit seiner eigenen Einstellung gegenüber seinem Vater konfrontieren. Damit gehe ich auf einige, äußerst fragwürdige Aussagen aus einem Lied von Mighty ein, in dem er von seinem Vater erzählt. Dummerweise habe ich vergessen in meinem Part zu erklären, dass ich mich auf dieses Lied beziehe. Ich war mir sicher, dass der Zuschauer meine Stilmittel erkennt und die Aussage begreift, die mit der ersten und der letzten Zeile zusammengeführt wird.
Jetzt der Punkt: Ich gehe doch dorthin, um einem Unbekannten zu sagen, was mir an ihm nicht gefällt, oder?! Genau das habe ich getan! Mighty hatte mit seinem Track die Situation bereits öffentlich dargestellt, also zeigt er selbst, dass er seine Gedanken darüber teilen möchte. Ich habe diese Möglichkeit genutzt und hatte an einigen seiner Meinungen etwas auszusetzen. Soll ich vielleicht darauf verzichten, weil man das Thema "Tod" nicht in der Öffentlichkeit anspricht? Nein, ich hatte ein Anliegen zu einem Thema, welches mich selbst bewegt, da ich auch Erfahrungen damit gemacht habe. Und da ist es mir wichtiger, etwas relevantes über meinen Gegner zu sagen und ihm meine Kritik zu diesem Thema mit auf den Weg zu geben, anstatt dumme Witze zur allgemeinen Belustigung zu reißen. Ferner kann ich sogar noch die Zuschauer zum Nachdenken oder zu einer Diskussion anregen.
Es gibt Leute, die sagen, dass hier eine Grenze überschritten wird, weil man nicht mehr nur den MC an sich kritisiert, sondern auch das wahre Leben des Menschen, der ihn verkörpert. Und das darf man nicht, weil das ja nichts mehr mit Hip Hop zu tun hat. Meistens sind das dann auch die Leute, die sagen es wäre unreal einen Track zu machen, der nicht vom wahren Leben handelt (wer sich angesprochen fühlt, sollte die Definition von "Antithese" nachschlagen). In anderen Ländern werden Personals (ganz im Gegensatz zu Deutschland) sogar sehr gefeiert, da z.B. Engländer, Amis oder Kanadier es als Pflicht sehen, die moralische Haltung und das Privatleben eines Rappers zu inspizieren, um herauszufinden ob der Rapper denn wirklich so toll ist, wie er sich präsentiert.
(Don't Flop 2012 - Jefferson Price vs Caustic)
In diesem Don't Flop-Battle zwischen Caustic und Jefferson Price, spricht Caustic in seiner dritten Runde darüber, dass Price seiner voluminöseren Verlobten anscheinend öfters fremdgeht. Er nennt sogar noch die Namen der Mädchen mit denen Jefferson Price seine Angebetete betrogen haben soll. Es mag vielleicht krass aussehen und es dringt durchaus tief in das Privatleben des MCs ein, aber auch hier hat Caustic nicht mehr getan, als die Einstellung seines Gegners zu kritisieren und dessen Moral in Frage zu stellen. Dies tut er wahrscheinlich auch, um den Leuten zu zeigen, dass sein Gegner einer der Sorte Menschen ist, deren Ideologien man nicht folgen sollte.
Ist es nun also wirklich verwerflich, wenn man in einem Battle auf den Menschen mit Personals eingeht? Battlerap ist weder Theater, noch das wahre Leben. Es ist beides gleichzeitig. D.h. ein MC ist zwar nur eine Kunstfigur in der Öffentlichkeit, aber dennoch entscheidet der Mensch dahinter, wie er seine Kunstfigur zum Leben erweckt und sie dem Pöbel präsentiert. Also steckt in jedem Rapper nicht nur ein Bühnencharakter, sondern auch der Mensch, der ihn erschaffen hat. Folglich wird der Mensch hinter der Figur miteinbezogen, darf also auch kritisiert werden. Aber gerade deshalb, sollte man seinen eigenen Menschen beim dissen nicht vergessen. Schließlich überträgt man die eigenen moralischen Ansätze mit jeder Punchline ein bisschen auf seine Figur. Darum ist es sehr wichtig für sich selbst zu differenzieren, ob man gerade Theater spielt oder es ernst meint. Ob man das für ein Publikum deutlich machen sollte, kann ich nicht sagen. Manchmal kann es auch sehr interessant werden, wenn einem Publikum die Entscheidung selbst überlassen bleibt, um vielleicht auch die Zuschauer zum nachdenken anzuregen oder sie zu testen.
"Ben sagt: Hol dir deinen Fame!". Doch du holst ihn nicht.
Du holst ihm den Fame, den er nich' bekam mit seinem eigenen Kaoslogeshit!"
(Laas Unlimited - Laas Unlimited vs Drob Dynamic)
Das Fazit
Prinzipiell finde ich, darf in einem Battle ALLES gesagt werden. Ob man das dann gut findet, liegt an den eigenen Ansichten. Genauso sollte ein MC wissen, ob er beim Punchline schreiben Grenzen zieht oder seine moralische Haltung für ein Battle über Bord wirft. Und genau hier zieht jeder für sich selbst die Grenze, egal ob MC oder Zuschauer. Jedoch bin ich der Meinung, dass sinnloses Beleidigen (egal ob persönlich oder unpersönlich) auch kein Weg ist zu einem guten Battle ist. Ein Battle-MC sollte sich nie zu weit von seiner menschlichen Einstellung entfernen, da sonst die Gefahr besteht sich selbst zu verlieren.
Aber ein Battle ist nunmal kein Stand-Up Comedy, sondern war schon immer erfüllt von Moral-, sozialer und menschlicher Kritik. Und gerade die persönlichen Punchlines bieten eine Plattform für Selbstreflexion sowie die Möglichkeit ein Statement an eine größere Masse zu richten. Wer denkt, dass er nur zum Lachen auf ein Battlerap-Event geht, ist fehl am Platz. Da darf es ruhig mal persönlicher zugehen, denn hinter jedem MC steht ein Mensch, der den MC erst ausfüllt. Generell bin ich der Meinung, dass guter Gegnerbezug beim Pre-Written-Battle immer wichtig ist, denn wozu macht man sonst ein Battle gegen einen bestimmten MC. Aber wie bei allem im Leben sollte man immer die Balance halten.
Ich habe versucht dieses komplexe Thema so gut es ging zu analysieren und für andere und mich selbst greifbarer zu machen. Ich denke mal damit habe ich wohl den schwierigsten und längsten Artikel meines Blogs auch schon hinter mir (in der zweiten Woche... juhu!). Aber das wichtigste im Battlerap ist doch, dass am Ende des Tages über Skills gestaunt werden kann, egal ob mit Generic-Bars oder Personals.
Brian Damage